März 16

Der Bauer und sein Kater

In dem Dorf Lauen, in Mecklenburg, lebte einst ein Bauer, der schon seit langem Witwer war. Er hatte eine kleine Kate und ein paar Hühner. Sein einziger Lebensgefährte war ein Kater namens Karo. Mit dem unterhielt er sich manchmal abends, wenn es gar zu einsam war.

Gar nicht selten antwortete ihm der Kater auch. Kater Karo wußte seit dem Tod der Bäuerin, daß er auf den Bauer aufpassen mußte, denn der hatte gelegentlich einen ziemlich verhängnisvollen Drang zum Leichtsinn.
Wenn nun die Hühner des Bauern genügend Eier gelegt hatten, dann packte er sie in eine Kiepe und ging mit ihnen auf die Märkte der Umgebung, um sie zu verkaufen. So war es auch dieses Mal.
Die Hühner waren besonders fleißig gewesen. Sie hatten zehn Dutzend Eier gelegt, einhundertzwanzig Stück. Das würde ein schönes Geld bringen, sagte der Bauer zu seinem Kater Karo, als er sich auf den Weg nach Lübeck machte. Er ermahnte den Kater, gut aufs Haus aufzupassen. Am Abend werde er wieder zurück sein „und wenn ich alles gut verkauft habe, werde ich dir auch einen Leckerbissen aus der Stadt mitbringen“, versprach der Bauer. Dann ging er.

Auf dem Markt in Lübeck angekommen, bot der Bauer seine Eier an. Als nun aber ein würdevoller lübeckischer Ratsherr zufällig des Weges kam, da ritt den Bauern der Schalk. „Hoher Herr“, rief er, „wenn ich mich nicht irre, so sind Sie doch ein lübeckischer Ratsherr, nicht?“

„Ja“, sagte der Ratsherr. „Nun“, sagte der Bauer, „wenn Sie ein Ratsherr sind, dann können Sie sicher gut raten“?

„Ja“, sagte der Ratsherr, „was soll ich denn raten?“ – „Seht Ihr hier die Kiepe voll Eier?“ sagte der Bauer. „Die sehe ich wohl“, sagte der Ratsherr.

„Nun denn. Ratet doch mal, wie viele Eier ich hier in dieser Kiepe habe? Wenn Ihr falsch ratet, kriege ich von Euch zehn Taler, ratet Ihr aber richtig, sollen Euch die 120 Stück Eier in diesem Korb gehören.“

Einen Moment lang wußte der Ratsherr nicht, ob der Bauer nur einen Scherz mit ihm machen wollte oder ob er einfach plump und ungeschickt war. Aber dann sagte er: „Nun gut, dann laßt mich raten. In deinem Korb, schätze ich, sind zehn Dutzend Eier, hundertzwanzig Stück. Ist das richtig?“

„Hol’s der Deubel“, sagte der Bauer, „jetzt gehören Ihnen die Eier. Wer hätt‘ gedacht. daß Sie so gut raten können.“

„Ja“, sagte der lübeckische Ratsherr und er kam sich sehr überlegen vor, „wir Ratsherren wissen mehr als andere.“ Dann packte er die Eier ein, alle hundertzwanzig Stück und ging mit erhobenem Haupte davon. Er hatte ein gutes Geschäft gemacht und der dumme Bauer hatte sich selbst gehörig hereingelegt. Der Bauer war sehr betrübt.

Mit dem leeren Korb auf dem Rücken und ohne Erlös ging er heim in sein mecklenburgisches Dorf. Er konnte sich gar nicht recht erklären, wie es zu einem derartigen Reinfall kommen konnte.

Als der Bauer mit seinem traurigen Gesicht auf das Gehöft zurückkehrte, saß der schwarze Kater Karo da und maunzte:  „Naaah?“ – „Ach, Kater Karo“, sagte der Bauer, „ich habe alles verspielt.“ Er erzählte dem Kater, wie es ihm mit dem lübeckischen Ratsherren gegangen sei. Der Kater kratzte sich ein paar Mal mit den Pfoten hinter den Ohren und schüttelte den Kopf, als der Bauer so erzählte. „Und nicht mal einen Leckerbissen konnte ich Dir mitbringen“, schloß der Bauer. „Laß man“, sagte der Kater, „wenn wieder Markttag in Lübeck ist, holen wir uns alles zurück und noch mehr.“

Knapp zwei Wochen später sagte eines Abends der Kater zum Bauern: „Morgen ist wieder Markt in Lübeck.“ – „Aha“ murmelte der Bauer. „Hol aus dem Schuppen den zerlöcherten alten Sack“, sagte der Kater. „Nun, wenn Du willst, dann werde ich den Sack aus dem Schuppen holen, aber was soll ich damit?“ – „Du wirst schon alles rechtzeitig erfahren“, sagte der Kater, „vor allem tu, was ich dir geheißen habe.“

Am nächsten Morgen sagte er zu dem Bauern: „Hol die ersparten zwanzig Taler aus dem Dielenboden, wo du sie versteckt hast und stecke sie ein und tu genau, was ich dir sage.“ Der Bauer holte sein ganzes Ersparnis aus dem Versteck unter einem der Dielenbretter. „Jetzt öffne den Sack und laß mich reinschlüpfen“, sagte der Kater. Der Bauer öffnete den Sack und der Kater schlüpfte rein.

„Jetzt nimm den Sack auf den Buckel und geh‘ nach Lübeck auf den Markt“, sagte der Kater.

 

Der Bauer nahm den Sack mit dem Kater auf den Rücken und ging mit ihm nach Lübeck auf den Markt. Als sie angekommen waren, flüsterte der Kater aus dem Sack: „Jetzt warte auf den Ratsherren und wenn er kommt, wette mit ihm um zwanzig Taler, daß er nicht errät, was in diesem Sack ist.“ – „Ja, Kater Karo, das mache ich“, sagte der Bauer, der nichts ahnte. „Und denke daran, daß ich dein Kater bin“, flüstert Karo aus dem Sack. „Ja, Kater Karo“, sagte er.

Nach einer Weile kam der lübeckische Ratsherr über den Markt geschlendert. Da winkte ihn der Bauer schon von weitem heran und rief laut: „Ratsherr, mein lieber Ratsherr, habt Ihr nicht Lust, mal wieder zu raten?“ –

„Ja“, sagte der Ratsherr, „ich hätte schon Lust aber worum wollen wir denn diesmal wetten?“

„Ich wette mit dir um zwanzig Taler, daß du nicht rätst, was ich hier im Sack habe“, sagte der Bauer. In diesem Augenblick steckte der Kater durch das eine Loch im Sack eine Hinterpfote und durch ein anderes Loch ließ er seinen Schwanz heraushängen.

„Hast du denn zwanzig Taler?“ fragte der Ratsherr mißtrauisch. Da langte der Bauer in seine Tasche und legte sein ganzes erspartes Geld auf den Verkaufstisch. „Nun denn“, sagte der Ratsherr und legte ebenfalls einen Sack mit zwanzig Talern auf den Tisch. „Dann will ich raten. In dem Sack ist eine Katze.“

„Nein, nein, Ratsherr“, lachte der Bauer, „diesmal hast du falsch geraten, in dem Sack ist nämlich mein Kater. Karo heißt er und ist ein kluges Tier und deswegen gehören deine zwanzig Taler jetzt mir.“ 
Er schob das Geld ein, nahm den Sack mit dem Kater über die Schulter und ging heim – das Geld für die verlorenen Eier aus der ersten Wette hatte er um ein Mehrfaches wieder eingenommen. Kater Karo aber belohnte der Bauer mit einem gebratenen Hühnerbein.

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Veröffentlicht16. März 2013 von Bonnie in Kategorie "Allgemein", "Geschichten, Sprichworte und Zitate
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